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+ | 1378 (km) ist ein 2010 erschienenes Computerspiel des deutschen Entwicklers Jens Stober. Es behandelt die Situation an der innerdeutschen Grenze im Jahre 1976. Bereits kurz nach der Veröffentlichung wurde das Spiel zum Gegenstand kontroverser Debatten, da der Spielmodus eine Welle der Entrüstung hervorrief: Es sind zwei Parteien spielbar, zum einen (unbewaffnete) „Republikflüchtlinge“, die versuchen müssen, den Todesstreifen in Richtung Westen lebend zu überqueren; zum anderen ostdeutsche Grenzschützer, die die Fliehenden mit allen Mitteln – also mit Schusswaffengebrauch - von der Flucht abzuhalten versuchen. Ursprünglich erschien das Spiel als Mod (Erweiterung) des berühmten Shooters Half Life 2, kann aber mittlerweile kostenlos und eigenständig gespielt werden. Bis zu 16 Spieler können in einer Runde mitwirken, dabei startet man zunächst auf Seiten der DDR-Grenzschützer, kann aber dann die Rolle wechseln und die Flucht in die Freiheit wagen. Das Erschießen von Republikflüchtlingen wird zunächst mit einem Dienstorden belohnt, danach allerdings findet man sich in einem Gerichtssaal im Jahre 2000 während eines Prozesses zum Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze wieder. | ||
+ | Für Teile der deutschen Öffentlichkeit war dies zu viel – alte Narben der deutschen Geschichte schienen wieder aufzureißen. Der Tagesspiegel witterte etwa einen „Skandal“ <ref>Dagmer Schulze Helig: Nachdenken am Grenzzaun, URL: https://www.tagesspiegel.de/meinung/gastkommentar-nachdenken-am-grenzzaun/2131632.html/ (abgerufen am 21.08.2019) </ref> und der Entwickler war gezwungen, sich für die Spielidee zu rechtfertigen. Jens Stober sah die Intention des Spiels missverstanden, da es ihm insbesondere darum ging, Jugendlichen einen neuen Zugang zu diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte geben <ref>Hellmuth Vensky: Grenzflucht ist kein Spiel, URL: https://www.zeit.de/digital/games/2010-10/1378-game-gestoppt (abgerufen am 24.08.2019) </ref>. Die Erschießungen an der Grenze sollten also nicht verherrlicht werden, sondern zum Nachdenken anregen. | ||
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+ | „Es wird der Tag kommen, an dem Grenzen uns nicht mehr trennen, sondern Grenzen uns vereinen“. Diesen Satz sagte Erich Honecker, damaliger Generalsekretär der SED, bei seinem Besuch in der Bundesrepublik im Jahre 1987 <ref>URL: https://www.zeit.de/2012/36/Kohl-Honecker-Staatsbesuch-1987/seite-3 (abgerufen am 23.08.2019) </ref> und gab mit diesen Worten der Bevölkerung im Osten wie im Westen gleichermaßen einen kleinen Funken Hoffnung, dass die Mauerzwischen den beiden deutschen Staaten nicht für immer existieren würde. Dennoch gingen auch zu dieser Zeit noch Vorgänge an der innerdeutschen Grenze vor sich, die weit entfernt von den idealistischen Worten Honeckers waren und 20 Jahre nach der Wiedervereinigung Anlass für die Konzeption des Spiels waren. | ||
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+ | Die im Spiel behandelte Thematik bezieht sich auf den sog. Schießbefehl, also die Weisung, dass Fluchtversuche aus der DDR in die Bundesrepublik zur Not auch mit Schusswaffen zu stoppen sind. Bereits ab 1960 wurden erste Anweisungen ausgegeben, nach denen die Grenzschützer von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen dürfen, um damit dem Exodus an fliehenden DDR-Bürgern Einhalt zu gebieten. Für „erfolgreiche“ Verhinderungen von Fluchtversuchen gab es sogar Belohnungen in Form von Prämien oder Orden, denn Republikflucht galt in der DDR als Straftatbestand. Schätzungsweise 600 Menschen wurden auf diese Weise getötet, sei es an der innerdeutschen Grenze oder an der Berliner Mauer. <ref> URL: https://www.berlin.de/mauer/geschichte/mauertote/ (abgerufen am 23.08.2019)</ref> | ||
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+ | Die Aufarbeitung der Verbrechen begann rasch nach der Wiedervereinigung: In den sog. Mauerschützenprozessen von 1991 bis 2004, in denen die Verantwortlichen des SED-Regimes vor Gericht gestellt wurden, sowohl Mauerschützen als auch politische Entscheidungsträger, die überhaupt erst den Gebrauch von Schusswaffen legitimierten. Auch die höchsten Personen im ehemaligen Staatsapparat der DDR, namentlich u.a. Erich Honecker sowie Erich Mielke, seines Zeichens ehemaliger Minister für Staatssicherheit, kamen auf die Anklagebank, allerdings in beiden Fällen ohne ein wirkliches Urteil: Erich Honecker floh mit seiner Ehefrau Margot nach Chile und starb kurz darauf im Jahre 1994, Erich Mielke galt als nicht verhandlungsfähig. | ||
+ | „Die juristische und erinnerungskulturelle Verdammung von Schießbefehl und Mauerschützen in der wiedervereinigten Bundesrepublik war dabei so durchgreifend, dass für weite Teile der Öffentlichkeit und Politik eine fiktive, spielerische Umsetzung der Thematik noch im Jahr 2010 die Grenzen des Zulässigen weit überschritt.“ | ||
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+ | Autor: [https://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/geschichte/lstnng/lehrstuhlteam/hiwis/Schoch-Nicholas/ Nicholas Schoch] <br> | ||
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+ | [https://zeitgeschichte-online.de/themen/darf-man-republikfluchtlinge-erschiessen Weiterführende Literatur] |
Aktuelle Version vom 24. August 2019, 09:29 Uhr
- Schlagwörter: DDR, Grenzschutz, Mauerflüchtlinge, Mod
- Genre: First Person Shooter
- Erscheinungsjahr: 2010
- Zeitraum im Spiel: 1976
- Plattform: PC
- Urheber: Jens Stober (Deutschland)
Überblick
1378 (km) ist ein 2010 erschienenes Computerspiel des deutschen Entwicklers Jens Stober. Es behandelt die Situation an der innerdeutschen Grenze im Jahre 1976. Bereits kurz nach der Veröffentlichung wurde das Spiel zum Gegenstand kontroverser Debatten, da der Spielmodus eine Welle der Entrüstung hervorrief: Es sind zwei Parteien spielbar, zum einen (unbewaffnete) „Republikflüchtlinge“, die versuchen müssen, den Todesstreifen in Richtung Westen lebend zu überqueren; zum anderen ostdeutsche Grenzschützer, die die Fliehenden mit allen Mitteln – also mit Schusswaffengebrauch - von der Flucht abzuhalten versuchen. Ursprünglich erschien das Spiel als Mod (Erweiterung) des berühmten Shooters Half Life 2, kann aber mittlerweile kostenlos und eigenständig gespielt werden. Bis zu 16 Spieler können in einer Runde mitwirken, dabei startet man zunächst auf Seiten der DDR-Grenzschützer, kann aber dann die Rolle wechseln und die Flucht in die Freiheit wagen. Das Erschießen von Republikflüchtlingen wird zunächst mit einem Dienstorden belohnt, danach allerdings findet man sich in einem Gerichtssaal im Jahre 2000 während eines Prozesses zum Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze wieder. Für Teile der deutschen Öffentlichkeit war dies zu viel – alte Narben der deutschen Geschichte schienen wieder aufzureißen. Der Tagesspiegel witterte etwa einen „Skandal“ [1] und der Entwickler war gezwungen, sich für die Spielidee zu rechtfertigen. Jens Stober sah die Intention des Spiels missverstanden, da es ihm insbesondere darum ging, Jugendlichen einen neuen Zugang zu diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte geben [2]. Die Erschießungen an der Grenze sollten also nicht verherrlicht werden, sondern zum Nachdenken anregen.
Hintergrund
„Es wird der Tag kommen, an dem Grenzen uns nicht mehr trennen, sondern Grenzen uns vereinen“. Diesen Satz sagte Erich Honecker, damaliger Generalsekretär der SED, bei seinem Besuch in der Bundesrepublik im Jahre 1987 [3] und gab mit diesen Worten der Bevölkerung im Osten wie im Westen gleichermaßen einen kleinen Funken Hoffnung, dass die Mauerzwischen den beiden deutschen Staaten nicht für immer existieren würde. Dennoch gingen auch zu dieser Zeit noch Vorgänge an der innerdeutschen Grenze vor sich, die weit entfernt von den idealistischen Worten Honeckers waren und 20 Jahre nach der Wiedervereinigung Anlass für die Konzeption des Spiels waren.
Die im Spiel behandelte Thematik bezieht sich auf den sog. Schießbefehl, also die Weisung, dass Fluchtversuche aus der DDR in die Bundesrepublik zur Not auch mit Schusswaffen zu stoppen sind. Bereits ab 1960 wurden erste Anweisungen ausgegeben, nach denen die Grenzschützer von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen dürfen, um damit dem Exodus an fliehenden DDR-Bürgern Einhalt zu gebieten. Für „erfolgreiche“ Verhinderungen von Fluchtversuchen gab es sogar Belohnungen in Form von Prämien oder Orden, denn Republikflucht galt in der DDR als Straftatbestand. Schätzungsweise 600 Menschen wurden auf diese Weise getötet, sei es an der innerdeutschen Grenze oder an der Berliner Mauer. [4]
Die Aufarbeitung der Verbrechen begann rasch nach der Wiedervereinigung: In den sog. Mauerschützenprozessen von 1991 bis 2004, in denen die Verantwortlichen des SED-Regimes vor Gericht gestellt wurden, sowohl Mauerschützen als auch politische Entscheidungsträger, die überhaupt erst den Gebrauch von Schusswaffen legitimierten. Auch die höchsten Personen im ehemaligen Staatsapparat der DDR, namentlich u.a. Erich Honecker sowie Erich Mielke, seines Zeichens ehemaliger Minister für Staatssicherheit, kamen auf die Anklagebank, allerdings in beiden Fällen ohne ein wirkliches Urteil: Erich Honecker floh mit seiner Ehefrau Margot nach Chile und starb kurz darauf im Jahre 1994, Erich Mielke galt als nicht verhandlungsfähig. „Die juristische und erinnerungskulturelle Verdammung von Schießbefehl und Mauerschützen in der wiedervereinigten Bundesrepublik war dabei so durchgreifend, dass für weite Teile der Öffentlichkeit und Politik eine fiktive, spielerische Umsetzung der Thematik noch im Jahr 2010 die Grenzen des Zulässigen weit überschritt.“
Nachweise
- ↑ Dagmer Schulze Helig: Nachdenken am Grenzzaun, URL: https://www.tagesspiegel.de/meinung/gastkommentar-nachdenken-am-grenzzaun/2131632.html/ (abgerufen am 21.08.2019)
- ↑ Hellmuth Vensky: Grenzflucht ist kein Spiel, URL: https://www.zeit.de/digital/games/2010-10/1378-game-gestoppt (abgerufen am 24.08.2019)
- ↑ URL: https://www.zeit.de/2012/36/Kohl-Honecker-Staatsbesuch-1987/seite-3 (abgerufen am 23.08.2019)
- ↑ URL: https://www.berlin.de/mauer/geschichte/mauertote/ (abgerufen am 23.08.2019)